Im Gespräch mit Marc Brütsch, Chief Economist der Swiss Life Asset Managers

29.01.2025

„Die Unsicherheit ist weiterhin hoch, aber es gibt zyklische Lichtblicke.“

Was erwarten Sie für das neue Jahr in makroökonomischer und konjunktureller Hinsicht in Deutschland und Europa?

Wir beobachten weiterhin einen konjunkturellen Aufschwung, der vor allem durch das Konsumverhalten gestützt wird. Allerdings ist das Wachstum schwach. Ein Vergleich mit den USA zeigt, dass Europa wirtschaftlich weiter zurückfällt. Dieser Trend wird sich voraussichtlich 2025 fortsetzen. Für Deutschland rechnen wir mit einem Bruttoinlandsprodukt-Wachstum von „nur“ 0,5 %. Unter voller Auslastung der Kapazitäten in Industrie und Arbeitsmarkt wäre jedoch ein Wachstum von rund 1 % möglich. Das Ausbleiben dieses Potenzials hat auch zur Folge, dass der Inflationsdruck in Europa weiter nachlässt. Dies könnte die Europäische Zentralbank dazu veranlassen, ihre Geldpolitik zu lockern, was den konjunkturellen Rückenwind zumindest vorübergehend verstärken dürfte.

Erschwerend wirkt sich die wirtschaftspolitische Unsicherheit aus, die auch unsere Prognosen insgesamt schwieriger macht. Zwei zentrale Unsicherheitsfaktoren sind die Handelspolitik der USA sowie die unklare politische Lage in Deutschland. Auch in Frankreich stehen mit hoher Wahrscheinlichkeit erneute Wahlen im Jahr 2025 an, die zusätzliche Unsicherheit mit sich bringen und langfristige Planungen erschweren.

Im Juni vorigen Jahres hatten Sie sich recht optimistisch geäußert und dies vor allem mit dem Konsum begründet. Sehen Sie sich bestätigt?

In vielen Punkten ja. Trotz struktureller Herausforderungen und hoher Unsicherheiten zeigt sich ein zyklisches Momentum mit einer leichten konjunkturellen Aufhellung – besonders im Konsumverhalten, wie wir es vor sechs Monaten prognostiziert haben. Die Realeinkommen der Haushalte steigen, und dieses zusätzliche Geld wird zunehmend ausgegeben. Die Einzelhandelsumsätze sind in ganz Europa, einschließlich Deutschland, gestiegen. Selbst das Verbrauchervertrauen in Deutschland hat sich leicht erholt. Diese positive Entwicklung verläuft zwar schwächer als erwartet, ist aber spürbar. Die Kaufkraftkrise der Haushalte hat sich also dank rückläufiger Preise entspannt. Solange sich die Lage am Arbeitsmarkt nicht drastisch verschlechtert, dürfte das Momentum anhalten.

Obwohl sich unsere Prognosen zum Großteil bestätigt haben, lagen wir in einem Punkt daneben: Die Sparneigung der Haushalte in Europa hat sich im Jahr 2024 noch einmal erhöht, was wir so nicht erwartet hatten.

Was wird 2025 anders als 2024?

Die Verunsicherung auf Unternehmensseite wird vorerst bestehen bleiben. Gründe dafür sind unter anderem die US-amerikanische Handelspolitik, die weiterhin auf den Entscheidungen europäischer Unternehmen lastet.

In Kontinentaleuropa erwarten wir jedoch eine Wende in der Geldpolitik. Die derzeit restriktive Geldpolitik der EZB ist angesichts der aktuellen Inflationsraten und -erwartungen nicht mehr angemessen. Wir gehen davon aus, dass die EZB 2025 in jedem Meeting bis September die Leitzinsen senkt – insgesamt um etwa 150 Basispunkte. Dadurch würde die Geldpolitik nicht nur in einen neutralen, sondern in einen expansiven Zustand überführt. Dieser Prozess hat bereits begonnen, dürfte sich aber weiter beschleunigen. Die US-Notenbank Fed hingegen wird die Leitzinsen weniger stark senken als noch vor sechs Monaten erwartet.

Wie wird sich die Immobilienwirtschaft in diesem Umfeld entwickeln?

Die expansivere Geldpolitik in Europa wird die Immobilienmärkte stützen, sodass Immobilien wieder stärker in den Fokus institutioneller und privater Investoren rücken. Günstigere Finanzierungsmöglichkeiten, wie sie bereits in der Schweiz zu beobachten sind, werden diese Entwicklung zusätzlich begünstigen. Die Unsicherheit hinsichtlich negativer Bewertungseffekte, wie Preisrückgängen, dürfte abnehmen. Besonders bei Wohnimmobilien sind positive Wertveränderungen zu erwarten. Insgesamt zeigt sich ein wachsender Appetit der Investoren auf Immobilienanlagen.

Marc Brütsch

Marc Brütsch ist seit Abschluss des Studiums der Nationalökonomie und der Publizistikwissenschaften an der Universität Zürich für Swiss Life tätig. Seit März 2000 bekleidet er die Funktion des Chief Economist von Swiss Life Asset Managers. Wie auch bereits für die Jahre 2015, 2017, 2019, 2020 und 2022 zeichnete die Firma Consensus Economics in London ihn und sein Team jüngst für das Jahr 2023 mit dem seit 2013 vergebenen Gütesiegel „Forecast Accuracy Award“ für die beste Prognose zur Konjunktur in der Schweiz aus. Den gleichen Preis gewann er für 2019 auch für seine Prognosen für die Eurozone. In den Jahren 1996 und 1997 arbeitete er für Swiss Life in England. Ab August 2022 nahm er seine Aufgaben für ein Jahr aus Paris wahr.

Hat Ihnen der Artikel gefallen? Jetzt mit Freunden teilen!