Makroökonomische Faktoren wie Inflation oder Leitzins als preisbestimmende Faktoren für Immobilieninvestments sind spätestens seit 2022 in aller Munde. Doch wie haben sich die zurückliegenden Jahre tatsächlich auf die Immobilienwirtschaft ausgewirkt und welche Trends sind jetzt erkennbar? In einem Interview beleuchtet Fondsmanager Walter Seul die aktuellen Marktchancen in verschiedenen Nutzungsklassen des „Living + Working“-Fondsportfolios und diskutiert strategische Ausrichtungen.
Derzeit ist viel von einer Immobilienkrise zu lesen. Aber kann man wirklich von einer Krise sprechen?
Eine solche Krise lässt sich an vier Merkmalen festmachen: den Mietpreisen, der Flächennachfrage, den Immobilienwerten und der Finanzierungssituation. Nicht alle diese Merkmale sind erfüllt, sodass wir nicht von einer allgemeinen Krise sprechen können.
Herausfordernd ist sicherlich die aktuelle Zinspolitik. Die Immobilienwerte werden stark von den Maßnahmen zur Inflationsbekämpfung und dem hohen Zinsniveau beeinflusst. Das übt Druck auf die Verkehrswerte aus. In diesem Umfeld fällt es insbesondere Projektentwicklern schwer, ihre Projekte zu realisieren. Wer aktuell verkaufen muss, sieht sich in der Regel mit Preisabschlägen konfrontiert, da sich die Anpassung der Objektrenditen an eine geänderte Zinslandschaft Zeit braucht. Für Bestandshalter, die ihre Immobilien langfristig im Portfolio behalten und nicht veräußern müssen, ist die aktuelle Situation somit weniger problematisch. Dazu gehören auch die Anleger unseres „Living + Working“-Fonds.
Welche Rolle spielt der Finanzierungsdruck aktuell?
Die Finanzierungssituation sorgt ebenfalls bei unterschiedlichen Akteuren für verschiedene Herausforderungen. Projektentwickler haben ihre Bauvorhaben bis 2022 häufig mit kurz laufenden Darlehen vorfinanziert. Diese erfordern nun eine Anschlussfinanzierung. Langfristig orientierte Anleger, die in der zweiten Hälfte der 2010er-Jahre investiert haben, haben hingegen in der Regel auch mit langen Kreditlaufzeiten finanziert. Für sie ist der aktuelle Zinszyklus also weniger relevant, da sich der Refinanzierungsdruck in Grenzen hält.
Wo sehen Sie aktuell positive Impulse?
Während bei der Marktdynamik insgesamt noch große Hürden bestehen, sehen wir eine positive Entwicklung bei den Mietpreisen und der Flächennachfrage für moderne und marktgängige Objekte. Das gilt für die Gesamtmärkte genauso wie für uns selbst. Im Portfolio des „Living + Working“ gibt es keinen Mietpreisverfall. Im Gegenteil: Durch indexierte Mietverträge können wir Mietsteigerungen entsprechend der Inflationsrate durchsetzen. Auch die Flächennachfrage ist stabil. Wir haben einen Vermietungsstand von ca. 95 Prozent, Tendenz steigend.
Die Zinswende hat sich also negativ auf die Bewertung der Immobilien ausgewirkt, aber die operative Performance der Bewirtschaftung ist durchgehend positiv, sodass wir für das abgelaufene Geschäftsjahr eine höhere Ausschüttung als im Vorjahr leisten können.
In welchen Nutzungsarten ergeben sich zurzeit die größten Chancen?
Das Portfolio des „Living + Working“ besteht aus vier Nutzungsklassen: Wohnen, Gesundheit, Einzelhandel und Büro. Die Assetklasse Büro hat seit der Pandemie durch den Trend zum Homeoffice und zu flexibleren Arbeitsplätzen den größten Nachfragerückgang auf dem Immobilienmarkt erfahren. Grundsätzlich gehen auch wir von einer weiterhin verhaltenen Nachfrage in dieser Assetklasse aus. Allerdings haben wir im „Living + Working“-Portfolio weder in dieser noch in den anderen Assetklassen einen drastischen Nachfragerückgang erlebt. Damit hat sich die Nutzungsart Büro in unserem Portfolio trotz Krise als stabil erwiesen. Moderne Büroflächen in guter Lage haben nach wie vor eine gute Vermietungschance.
Insbesondere in den Assetklassen Wohnen und Gesundheit sehen wir eine zunehmende Verknappung des Flächenangebots. Bereits vor der Zinswende gab es in diesen Bereichen einen enormen Bedarf, sowohl nach Wohnungen als auch nach Pflege- und Seniorenwohnplätzen. Die Megatrends „Urbanisierung“ und „demografische Entwicklung“ sind hierfür verantwortlich. Die Nachfrage nach Wohnraum steigt insbesondere in Großstädten kontinuierlich. Und auch die Nachfrage nach Pflegeplätzen wird angesichts der demografischen Entwicklung weiter zunehmen. Beides gilt übrigens europaweit. Zudem zeichnen sich gerade diese beiden Megatrends dadurch aus, dass sie relativ stark entkoppelt sind von zwischenzeitlichen ökonomischen Verwerfungen.
Die vierte Assetklasse im „Living + Working“-Portfolio ist der Einzelhandel, wobei der Schwerpunkt auf der Nahversorgung liegt, insbesondere der lebensmittelgeankerten Nahversorgung. Diese Assetklasse hat sich schon während der Corona-Krise und trotz steigender Lebensmittelpreise als sehr widerstandsfähig erwiesen. Kunden sind bei Lebensmitteln vergleichsweise unflexibel: Auch wenn das Brot das Doppelte kostet, wird es gekauft. Einsparungen sind kaum möglich, und auch im E-Commerce sind Lebensmittel nicht billiger zu haben. Die Anbieter verzeichnen also keine Umsatzeinbußen. Wir fühlen uns daher auch in dieser Anlageklasse sehr wohl und erwarten keinen Nachfragerückgang.
Richten Sie sich neu aus, um neue Investoren zu gewinnen?
Grundsätzlich hat sich unsere Strategie bewährt. Die Leerstandsquote, die zwischenzeitlich leicht angestiegen war, hat sich positiv entwickelt, da wir im Asset Management einen starken Fokus auf die Nachvermietung gelegt haben. Auch ESG und die Digitalisierung der Verbrauchserfassung in unseren Immobilien bleiben wichtige Themen. Hier haben wir viel investiert und werden dies auch in Zukunft beibehalten. Zudem richten wir uns weiterhin ausschließlich an Privatanleger. Die Homogenität unseres Fonds soll nicht verloren gehen – es ist und bleibt ein Privatkundenfonds.
Walter Seul ist Leiter Fondsmanagement bei der Swiss Life KVG. Er verantwortet unter anderem das Fondsmanagement des „Swiss Life Living + Working“. Zuvor war der Diplom-Volkswirt als Senior Fund Manager und Senior Corporate Finance Manager bei AXA Investment Managers sowie als Projektleiter für die Konzeption geschlossener Immobilienfonds bei der Deutschen Grundbesitz Management GmbH (heute RREEF) tätig.